Zitate
Minima Moralia, s 168, Theodor W. Adorno, Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Suhrkamp
97 Monade.
“ Unter den Verdiensten von Jakob Burkhardts Griechischer Kulturgeschichte ist nicht das geringste, daß er die Verödung der hellenistischen Individualität nicht bloß mit dem objektiven Verfall der Polis, sondern gerade mit dem Kultus des Individuums zusammenbringt: “An politischen Persönlichkeiten aber wird die Stadt seit dem Tode des Demosthenes und des Phokion erstaunlich arm, und nicht bloß an diesen, sondern der schon 342 in einer attischen Kleruchenfamilie auf Samos geborene Epiker ist überhaupt der letzte weltgeschichtliche Athener.” (Jakob Bruckhardt, Griechische Kulturgeschichte. Hrsg. Von Jakob Oeri. Bd. 4. 3. Aufl., Stuttgart, S. 515.) Der Zustand, in dem das Individuum verschwindet, ist zugleich der fessellos individualistisch, in dem “alles möglich” ist: “Vor allem feiert man jetzt Individuum statt Götter.” (Ibd., S. 516) Daß die Freisetzung des Individuums durch die ausgehöhlte Polis nicht etwa den Widerstand stärkt, sondernd ihn, ja die Individualität selber eliminiert, wie es dann in Diktaturstaaten sich vollendet, ist das Modell eines der zentralen Widerspüche, die von neunzehnten Jahrhundert in den Faschismus trieben. Beethovens Musik, deren Schauplatz die gesellschaftlich übermittelten Formen sind und die, asketisch gegen den privaten Gefühlsausdruck, widerhallt vom bestimmt gelenkten Echo des gesellschaftlichen Kampfes, zieht gerade aus solcher Askese alle Fülle und Gewalt des Individuellen. Die von Richard Strauss, ganz dem individuellen Anspruch dienstbar und auf die Verherrlichung des selbstgenügsamen Individuums ausgerichtet, setzt es eben damit zum bloßen Rezeptionsorgan des Marktes, zum Nachbilder unverbindlich ausgewählter Ideen und Stile herab. Innerhalb der repressiven Gesellschaft kommt die Emanzipation des Individuums diesem nicht bloß zugute, sondern tut ihm Eintrag. Freiheit von der Gesellschaft beraubt es der Kraft zur Freiheit. Denn so real es in seiner Beziehung zu anderen sein mag, es ist, als Absolutes betrachtet, eine bloße Abstraktion. Es hat keinerlei Inhalt, der gesellschaftlich konstituiert, keine über die Gesellschaft hinausgehende Regung, die nicht darauf gerichtet wäre, daß der gesellschaftliche Zustand über sich selber hinausgeht. … Wenn heute die Spur des Menschlichen eizig am Individuum als dem untergehenden zu haften scheint, so mahnt sie, jener Fatalität ein Ende zu machen, welche die Menschen individuiert, einzig, um sie in ihrer Vereinzelung vollkommen brechen zu können. Das bewahrende Prinzip ist allein noch in seinem Gegenteil aufgehoben.”
Ritual, Tabu und Körpersymbolik, Mary Douglas, Fischer Taschenbuch Verlag S. 152 7.
"Das Problem des Bösen Nach C.G. Jung ist die Abwendung von den Symbolen ein Gewinn, etwas, das im Licht des Gegensatzes zwischen dem geistigen Wert des Inneren und der Wertlosigkeit bloßer Äußerlichkeiten gesehen werden muß, ein Sieg des Inhalts über die leere Form: “…Ich bin überzeugt, daß die zunehmende Verarmung an Symbolen einen Sinn hat. Diese Entwicklung hat eine innere Konsequenz. Alles, worüber man sch nichts dachte und das dadurch eines sinngemäßen Zusammenhangs mit dem sich ja weiter entwickelnden Bewusstsein ermangelte, ist verlorengegangen…” Bei der “geistlichen Armut der Symbollosigkeit”, von der er redet, kann er sich also nur um einen Schwund der allgemein verbindlichen Symbolzusammenhänge handeln, die ihrerseits wiederum von der Konsistenz der Sozialstruktur abhängig sind und im gleichen Maße abnehmen wie diese."
10. Der Ausweg aus der Höhle S.218
"Entfremdung und Integration involvieren eine ganz unterschiedliche Verwendung des Körpers als Medium des symbolischen Ausdrucks. Könnte es legitim sein, diese unterschiedlichen Verwendungsweisen als unterschiedliche Codes zu betrachten, die aus unterschiedlichen sozialen Systemen abgeleitet sind? … …Und daraus können wir zwei Lehren zeihen: Erstens darf man sich bei der Beurteilung gesellschaftlicher Situation den Blick nicht vom Zwang der natürlichen Symbole verstellen lassen, und zweitens muß man fragen, welchen Gebrauch religiöse Gemeinschaften von der Möglichkeit machen, ihre Botschaft mit Hilfe des natürlichen Symbolsystems zu formulieren. Zum ersten Punkt wäre festzustellen, daß nur der elaborierte Code über die analytische Leistungsfähigkeit verfügt, die wir zur objektiven Beurteilung sozialer Formen brauchen, und daß man sich vor den subjektiven Einstellungen hüten muß, die sich der Symbolik des körperlichen Ausdrucks bedienen."
Minima Moralia, Theodor W. Adorno, Suhrkamp Taschenbuch W 1704 S.
49 Kind mit Bade.
"Nennt man die materielle Realität die Welt des Tauschwerts, Kultur aber, was immer dessen Herrschaft zu akzeptieren sich weigert, so ist solche Weigerung zwar scheinhaft, solange das Bestehende besteht. Da jedoch der freie und gerechte Tausch selber die Lüge ist, so steht was ihn verleugnet, zugleich auch für die Wahrheit ein: der Lüge der Warenwelt gegenüber wird noch die Lüge zum Korrektiv, die jene denunziert. Daß die Kultur bis heute mißlang, ist keine Rechtfertigung dafür, ihr Mißlingen zu befördern, indem man wie Katherlieschen noch den Vorrat an schönem Weizenmehl über das ausgelaufene Bier streut. Menschen, die zusammengehören, sollten sich weder ihre materiellen Interessen verschweigen, noch auf sie nivellieren, sondern sie reflektiert in ihr Verhältnis aufnehmen und damit über sie hinausgehen"
Senkblei der Geschichte, Alexander Kluge / Joseph Vogl / Gespräche Diaphanes Verlag S: 129
"Vogl: Ein Zeuge von unscharfen Grenzzonen.
Vogl: Aus diesen Gebieten stammen nun die eigentümlichsten europäischen Sagen, beispielsweise die über Vampire, Dracula. Dracula ist in einer gewissen Weise ein…
Kluge: … ein Erreichter Europas"
S:130 "Vogl: Europa ist eigentlich auf eine Landkarte nicht wirklich abbildbar. Man durchmisst ein politischer Patchwork mit fluktuierenden Grenzen "
Auf dem Weg zum Unding, in Medienkultur, Vilem Flusser, Fischer Taschenbuch Verlag S. 186
“Das Proletariat, dieser Erzeuger von Dingen, wird zur Minderheit, und die Funktionäre, die Beamten und die übrigen im “dritten Sektor”beschäftigten Angestellten, diese Erzeuger von Undingen, werden zur Mehrheit.” “Der Wert verschiebt sich vom Ding auf die Information: Umwertung aller Werte.”
S. 187 “Im Buchstäblichen Sinn dieses Wortes sind sie “unbegreiflich”.”
S: 185 “ Abstrahieren heißt abziehen.” “Die Dinge waren das “Konkrete”, woran sich der Mensch im Leben halten konnte. “Abstrahieren” war damals eine Bewegung, dank welcher der Mensch von seinem konkreten Umstand Abstand nehmen konnte. Es war eine sich von den Dingen entfernende Bewegung - eine von den Dingen weg und zu Undingen hingerichtete Bewegung. Diese von der Abstraktion gesuchten Undinge nannte man “Formen”.” “…: Je weit entfernt von Dingen, desto abstrakter, “theoretischer” war eine Form. “ “Die harten Dinge in unseren Umwelt beginnen, von weichen Undingen verdrängt zu werden: Hardware von Software.”
S. 186 “Nicht das Dingliche des Schuhs, sonder das Informative an ihm ist das Interessante.” “… Der größte Teil der Gesellschaft ist nicht länger mit der Manipulation von Information beschäftigt.”
S. 187 “Dieser gespenstige Charakter unserer Umwelt, diese ihre unbegreifliche Nebelhaftigkeit, ist die Stimmung, in der wir zu leben haben. An die Dinge können wir und nicht mehr halten und beiden Informationen wissen wir nicht, wie uns sie halten. Wir sind haltlos geworden. … Die Absicht jeder Abstraktion ist, die konkrete Umwelt aus einem Abstand heraus in dem Griff zu bekommen.“
S. 188 “ Nicht Arbeiter, Homo faber, sondern Spieler mit Formen, Homo ludens, ist der Mensch der undinglichen Zukunft.”
Mary Douglas, Ritual, Tabu und Körpersymbolik, Fischer Taschenbuch Verlag
S. 152
7. Das Problem des Bösen
Nach C.G. Jung ist die Abwendung von den Symbolen ein Gewinn, etwas, das im Licht des Gegensatzes zwischen dem geistigen Wert des Inneren und der Wertlosigkeit bloßer Äußerlichkeiten gesehen werden muß, ein Sieg des Inhalts über die leere Form: “…Ich bin überzeugt, daß die zunehmende Verarmung an Symbolen einen Sinn hat. Diese Entwicklung hat eine innere Konsequenz. Alles, worüber man sch nichts dachte und das dadurch eines sinngemäßen Zusammenhangs mit dem sich ja weiter entwickelnden Bewusstsein ermangelte, ist verlorengegangen…” Bei der “geistlichen Armut der Symbollosigkeit”, von der er redet, kann er sich also nur um einen Schwund der allgemein verbindlichen Symbolzusammenhänge handeln, die ihrerseits wiederum von der Konsistenz der Sozialstruktur abhängig sind und im gleichen Maße abnehmen wie diese.
10. Der Ausweg aus der Höhle
S.218
Entfremdung und Integration involvieren eine ganz unterschiedliche Verwendung des Körpers als Medium des symbolischen Ausdrucks. Könnte es legitim sein, diese unterschiedlichen Verwendungsweisen als unterschiedliche Codes zu betrachten, die aus unterschiedlichen sozialen Systemen abgeleitet sind?
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…Und daraus können wir zwei Lehren zeihen: Erstens darf man sich bei der Beurteilung gesellschaftlicher Situation den Blick nicht vom Zwang der natürlichen Symbole verstellen lassen, und zweitens muß man fragen, welchen Gebrauch religiöse Gemeinschaften von der Möglichkeit machen, ihre Botschaft mit Hilfe des natürlichen Symbolsystems zu formulieren. Zum ersten Punkt wäre festzustellen, daß nur der elaborierte Code über die analytische Leistungsfähigkeit verfügt, die wir zur objektiven Beurteilung sozialer Formen brauchen, und daß man sich vor den subjektiven Einstellungen hüten muß, die sich der Symbolik des körperlichen Ausdrucks bedienen.
Minima Moralia, Theodor W. Adorno, Suhrkamp Taschenbuch W 1704
S. 49
Kind mit Bade.
Nennt man die materielle Realität die Welt des Tauschwerts, Kultur aber, was immer dessen Herrschaft zu akzeptieren sich weigert, so ist solche Weigerung zwar scheinhaft, solange das Bestehende besteht. Da jedoch der freie und gerechte Tausch selber die Lüge ist, so steht was ihn verleugnet, zugleich auch für die Wahrheit ein: der Lüge der Warenwelt gegenüber wird noch die Lüge zum Korrektiv, die jene denunziert. Daß die Kultur bis heute mißlang, ist keine Rechtfertigung dafür, ihr Mißlingen zu befördern, indem man wie Katherlieschen noch den Vorrat an schönem Weizenmehl über das ausgelaufene Bier streut. Menschen, die zusammengehören, sollten sich weder ihre materiellen Interessen verschweigen, noch auf sie nivellieren, sondern sie reflektiert in ihr Verhältnis aufnehmen und damit über sie hinausgehen.
Senkblei der Geschichte, Alexander Kluge / Joseph Vogl / Gespräche
Diaphanes Verlag
S: 129 Vogl: Ein Zeuge von unscharfen Grenzzonen.
Vogl: Aus diesen Gebieten stammen nun die eigentümlichsten europäischen Sagen, beispielsweise die über Vampire, Dracula. Dracula ist in einer gewissen Weise ein…
Kluge: … ein Erreichter Europas.
S:130 Vogl: Europa ist eigentlich auf eine Landkarte nicht wirklich abbildbar. Man durchmisst ein politischer Patchwork mit fluktuierenden Grenzen.
© 2023 Oana Paula Vainer